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In der neunten Stunde - Ein Abschied

Die neunte Stunde: 1

Die neunte Stunde: 2

Die neunte Stunde: 3

Die neunte Stunde: 4

Die neunte Stunde: 5

Die neunte Stunde: 6

Die neunte Stunde: 7-9

Die neunte Stunde: 8, Mittelbild des Triptychons

Durch den Bilderzyklus "In der neunten Stunde", begleitend vom eigenen Gedicht "Abschied" (en: "Parting"), nahm die Künstlerin Abschied von ihrem verstorbenen Vater und verarbeitete ihren Verlust. Die einsame Kulisse des Sees spiegelt auf den meisten Gemälden die Leere des Verlustes wider.

Die Nachricht über den Tod des Vaters erreichte die Künstlerin an einem Herbsttag im Jahr 2019, kurz nach 15 Uhr, auf dem Vierwaldstätter See in der Schweiz. Diese Uhrzeit entspricht in der Orthodoxen Kirche etwa dem täglichen Stundengebet um 15 Uhr nachmittags – der sogenannten "Neunten Stunde" –, das zur Erinnerung auf den Tod Jesu dient (der kirchliche Tag beginnt stets am Vorabend, mit dem Abendgebet, der "Ersten Stunde"). Der Zyklus der Abschiedsbilder wurde deshalb im übertragenen Sinne "In der neunten Stunde" genannt und symbolisch auf insgesamt neun Leinwände gestaltet. Drei davon wurden in ein größeres Bild, ein Triptychon, vereint.

Abschied


Noch nichts ahnend,
in der neunten Stunde des Tages,
war ich in der Ferne,
auf dem Weg zu Deiner Seele
ein letztes Mal.

Mitten im Menschentrubel
in mir ruhend
in der Frische des sonnigen Herbstes
der neunten Stunde des Tages,
glitt ich
auf dem weißen Schiff
über dem großen See der vier Wälder
zu dem Ort, wo Skrjabin einst atmete.

Noch eine Station weiter,
in der neunten Stunde des Tages,
an einem Ort mitten im Nirgendwo
in den hohen Bergen,
wo in mir plötzlich eine Leere blitzte,
in deren Stille,
meiner noch nicht wissend,
deine Seele sich zum ersten Mal
von mir verabschiedete.

Und auf dem Rückweg,
im Ort wo Skrjabin einst atmete,
stieg ich doch aus,
wie von unsichtbarem Faden geführt,
in der neunten Stunde des Tages,
entlang der Straße
wo Sankt Hieronymus tröstete
und zu mir die Stimme meiner Schwester,
unter der großen Baumkrone sprach,
dass deine Seele jetzt woanders weilt.

Zum Abschied sahen wir uns noch einmal
auf dem grünen, blauen See der vier Wälder.
Meine Seele umarmend
verabschiedest Du Dich flatternd,
mit weißen Flügeln und mildem Blick
für die Ewigkeit.

Auf dem weißen Schiff weitergleitend,
weinte in mir das kleine untröstliche Kind.


(Avramović, 2020)


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